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Berichte

Herausforderung ASLSP

Das Vorhaben ein Musikstück über einen Zeitraum von 639 Jahre zu spielen, darf durchaus als ungewöhnlich und unerhört bezeichnet werden. Bevor man jedoch darüber urteilt, sollte man besser das Stück (bzw. einen Ausschnitt davon) selbst einmal in der Burchadikirche in Halberstadt erlebt haben. Meine Beobachtung über die Jahre ist zumindest, dass sich die Wahrnehmung des Projekts mit der Erfahrung vor Ort oft grundlegend ändert. Nicht selten ermöglicht das John-Cage-Orgelprojekt in Halberstadt genau das, was der Komponist Helmut Lachemann mit „Musik als existentielle Erfahrung“ umschrieben hat.

Lesen Sie im Folgenden Gedanke von Therese Costa (12. Jahrgangsstufe), warum man für das Klangjahr 2294 spenden sollte. Sie bringt unser Vorhaben in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und versteht ASLSP als Hoffnungsträger. Unser Schülersprecher Jakob Hüfner (11. Jahrgangsstufe) schreibt in seinem Bericht über seine Erfahrungen mit dem Projekt im September 2020 und reflektiert über die Tradition unserer Schule, mit den Musikgrundkursen nach Halberstadt zu reisen. Der Bericht ist darüber hinaus sehr informativ und gibt einen guten Einblick in den Ablauf der Exkursion. Hier hat sich seit 20 Jahren nicht sehr viel geändert.

Dr. Philipp Schäffler

Warum es sinnvoll ist, ein Klangjahr für das CGJ zu kaufen

Es gibt ganz verschiedene Gründe, warum sich das CGJ ein Klangjahr kaufen möchte.
Ein wichtiger Grund ist, dass das John Cage Projekt in Halberstadt ein Teil der Geschichte des CGJ ist. Seit der Schulgründung hat Herr Schäffler mit den Musikkursen der Oberstufe die St.Burchadi-Kirche in Halberstadt besucht um für einen Augenblick einem Ausschnitt aus dem Orgelstück zu hören. Dies ist zu einer Tradition worden.
Indem der Schule nun ein Klangjahr gehört, verwachsen die Geschichte von Halberstadt und dem CGJ noch weiter zusammen.
Doch viel wichtiger als diese Tradition ist das Symbol zu dem dieses Klangjahr in diesem Jahr wird. Dieses Jahr ist anders als die Letzten. Es ist ungewisser und einsamer als die letzten Jahre es waren. Vor unseren Augen hat sich abgespielt, was eine Pandemie für die Welt, für Deutschland, für unsere Schule und für uns ganz persönlich bedeutet. Wir alle sind in diesem Jahr oft in uns gegangen und haben uns gefragt wie es weitergeht ohne eine Antwort darauf zu finden. Auch jetzt gibt es keine Antwort auf diese Frage. Doch dort wo unser analysierender Geist im Dunkeln irrt, entsteht Raum für Hoffnung. Das Klangjahr zum 300. Jubiläum des CGJ ist ein Hoffnungsträger für unsere Schulgemeinschaft. Keiner von uns kann vorausahnen, was in den Jahren bis zu diesem Jubiläum passiert und keiner von uns wird es erleben. Doch trotzdem existiert das Klangjahr unserer Schule nun.
Ähnlich verhält es sich mit dem Orgelstück von John Cage. Kein Mensch kann es in Gänze hören und doch ist es existent.
Dort wo das Vermögen eines Menschen aufhört, kann man etwas in die Hände einer Gemeinschaft wie unserer Schulgemeinschaft geben. Vielleicht schaffen wir es als Schulgemeinschaft, zusammen mit den vorherigen Jahrgängen und den noch Kommenden, das Orgelstück zu hören. Wenn wir das schaffen können, können wir auch als Schulgemeinschaft die Corona Situation bewältigen.
Das John Cage Projekt aus Halberstadt führt uns vor Augen, dass wir nicht alleine sind und das es weitergeht. Das Klangjahr ist ein Geschenk der Hoffnung für unsere gesamte Schulgemeinschaft in einer Zeit in der man Hoffnung braucht, um die Ungewissheit und Einsamkeit in den Hintergrund zu rücken.

Therese Costa (12. Jahrgangsstufe)

Halberstadt & Organ2/ASLSP

Seit 2000 fahren die Musikgrundkurse der 11. Klasse nach Halberstadt um John Cages Orgelstück Organ2/ASLSP zu hören. Diese jährliche Tradition am CGJ wurde dieses Jahr von uns fortgeführt. Bevor ich nun meine wichtigsten Erlebnisse der Fahrt schildere und diskutiere, ob diese Reisetradition fortgesetzt werden sollte, werde ich zunächst ein wenig näher auf die Biografie von John Cage sowie das Orgelprojekt in Halberstadt eingehen:

John Milton Cage Jr. (kurz: John Cage) wurde am 5. September 1912 in Los Angeles geboren und starb am 12. August 1992 in New York. Cage war zwar nicht nur Musiker und Komponist, prägte aber während seiner Lebzeit mit mehr als 250 Kompositionen die Musikgeschichte. Als richtungs- weisend gilt er vor allem im Bereich der experimentellen Musik des 20. Jahrhunderts.

Bereits im Kindesalter zeigte sich Cages besondere Beziehung zu Musik, zu Klängen und Tönen. So schreibt er in seinem Buch „Silence“ über sich selbst: „Ich erinnre [sic!] mich als Kind alle Klänge geliebt zu haben, auch die nicht präparierten; ich mochte sie besonders in Mund Wangen und Zunge... “ (Cage 1995: 128) In seinem weiteren Leben wurde John Cage insbesondere von seinen Lehrern wie Henry Cowell und Arnold Schönberg beeinflusst. Doch Cage fand seinen eigenen Weg in der Musik und wandte sich von der klassischen europäischen Harmonielehre ab hin zu seiner sogenannten „Anarchic Harmony“ ab. Dabei ließ er sich z.B. von dem Schriftsteller James Joyce und dem Philosophen David Thoreau sowie der asiatischen Philosophie des Zen- Buddhismus inspirieren. So wurden für ihn Stille, Zufall und Zeitmaß als strukturelle Mittel in der Musik zentrale Elemente seiner Kompositionen. Beispiele dafür sind Werke wie „4'33''“, „Untitled Event“ und „Concerto for Prepared Piano and Chamber Orchestra“: „4‘33‘‘“ welches in drei Sätzen niedergeschrieben wurde, beinhaltet vier Minuten und 33 Sekunden nichts als absolute Stille. In „Untitled Event“ gibt Cage den Interpretierenden den Rahmen vor, in welchem sie Pause machen oder spielen sollen, überlässt ihnen aber selbst die Entscheidung, auf welche Weise sie dies tun. Das „Concerto for Prepared Piano and Chamber Orchestra“ nutzt eine eigens von Cage entwickelte Technik des präparierten Klaviers, in dem verschiedene Alltagsgegenstände im Klangkörper spezifische Töne erzeugen.

Auch in seinem zunächst für Klavier erschienenen Werk „ASLSP“ , welches 1987 unter dem Namen „ ebenfalls für Orgel erschien, gibt er eine ganz besondere Anweisung: wie im Titel bereits angedeutet, soll die achtseitige Partitur so langsam wie möglich gespielt werden. 10 Jahre danach wurde 1997 auf einem Orgelsymposium in Trossingen (Baden- Württemberg) die Frage gestellt, wie „As SLow aS Possible“ denn nun zu begreifen sei. So kamen zahlreiche Personen aus den Bereichen der Musikwissenschaft, der Theologie, der Philosophie und des Orgelbaus sowie Organistinnen und Organisten zu dem Schluss, dass „Organ2/ASLSP“ zumindest theoretisch unendlich gedacht und gespielt werden könnte. Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich über die Jahre ein Projekt, welches weltweites Aufsehen erregen sollte. Letztlich widmeten sich der Kevelaer Orgelbauer Romanus F. Seifert & Sohn zusammen mit der Firma Reinhard Hüfken-Orgelbau aus Halberstadt dieser Herausforderung. Durch sie wurde es möglich gemacht, das sich über 639 Jahre erstreckende Orgelstückprojekt in Halberstadt technisch zu realisieren. Warum aber 639 Jahre? Diese Frage ist auf die Geschichte der Stadt Halberstadt zurückzuführen. 1361, also genau 639 Jahre vor dem ursprünglich geplanten Beginn des Projektes im Jahre 2000, wurde im Halberstädter Dom eine der ältesten dokumentierten Orgeln der Neuzeit errichtet. Aus diesem Grund entschieden sich die Künstler(innen), diese Zeitspanne in die Zukunft zu spiegeln. Da der ursprüngliche Beginn wegen Verzögerungen jedoch nicht realisierbar war, startete das Projekt erst am 5.September 2001 in der Burchardi-Kirche. Da die Halberstädter Variante der Komposition aber mit einer etwa eineinhalbjährigen Pause einsetze, erklang der erste Ton aus der fünfpfeifigen Mini-Orgel erst am 5. Februar 2003. Seitdem lockt das

Projekt zahlreiche Besucher(innen) aus aller Welt zu sich. Die sogenannten „Klangwechsel“, welche in festgelegten Abständen erfolgen und auf der offiziellen Internetseite des Orgel- projektes vermerkt sind, stellen ein regelrechtes Event für die Öffentlichkeit dar. Der letzte

Tonwechsel geschah am 5. September 2020, also kurz vor unserem Besuch in Halberstadt.

Nun durfte auch ich einen kleinen Teil von „Organ2/ASLSP“ in Halberstadt hören. Wir besuchten das Projekt am 25.September 2020 und hörten so die Töne gis und e‘. Beim Betreten der Kirche überkam mich zunächst ein Gefühl der Verunsicherung, wenn nicht sogar ein wenig Beklemmung. Dies ist wohl auf den Klang der Mini-Orgel zurückzuführen, welcher den kompletten Raum einnahm. Unterstützt wurde dies zudem durch die nur mit Kerzen ausgeleuchtete Kirche. Nach ein paar Minuten konnte ich mich jedoch auf den Klang und die Atmosphäre einlassen. Schnell

gewöhnte ich mich dann vollständig an ihn. Ab einem bestimmten Moment schien dann selbst die auf mich anfangs ein wenig unheimlich wirkende Ausleuchtung der Kirche plötzlich sehr atmosphärisch und meditativ. Nun wurde ich vom Klang nahezu ausgefüllt: über mein Ohr nahm er zunächst langsam meinen Kopf, später meinen ganzen Körper ein. Obwohl die Töne faktisch gleichblieben, begann ich scheinbar, verschiedene Klangnuancen wahrzunehmen. Zudem gab mir der Klang in der nur spärlich ausgeleuchteten Kirche eine Art Sicherheit, die mit Worten schwer beschreibbar ist. Für einen kurzen Moment waren da nur ich, der Klang und die Dunkelheit.

Nachdem dieser Augenblick verstrichen war, nutze ich die stille Kommunikation über die aus- gelegten Blätter, um schriftlich mit meinen Mitschülerinnen und Mitschülern zu kommunizieren. So konnten wir unsere ersten Eindrücke untereinander austauschen. Schnell wurde mir dadurch deutlich, dass bei weitem nicht alle ähnliche Erfahrungen wie ich machten. Trotzdem oder sogar genau deshalb betrachte ich diese Kommunikationsmöglichkeit als Bereicherung, da ich mich dadurch direkt vor Ort mit den anderen austauschen konnte, ohne die Klangatmosphäre zu stören.

Doch wie bewerte ich nun dieses Halberstädter Orgelprojekt als Ganzes? Als ich das erste Mal von diesem Projekt hörte, fragte ich mich, inwieweit ich damit etwas anfangen könne. Ist es überhaupt sinnvoll, ein Projekt, von dem viele Generationen nur einen winzigen Bruchteil erfahren können, durchzuführen? Auch wenn mich dieser letzte Aspekt nach wie vor ein wenig stört, muss ich heute klar feststellen, dass ich meinen ursprünglichen Standpunkt durch das eigene Erleben des Projektes revidieren muss. Gerade diese Ungreifbarkeit für einen jeden von uns macht dieses Projekt erst so besonders: es ist genauso, wie Cage es vermutlich gewollt hätte – einfach etwas komplett anderes. Auch wenn es eigentlich nicht meinem persönlichen Musikgeschmack entsprach, hinterließ es bei mir einen positiven Eindruck. Elementar dafür war aber auch der kurze Überblick über das Leben und Wirken von John Cage, welcher uns kurz vor dem Besuch der Burchardi-Kirche durch Herrn Schäffler vermittelt wurde. Dies half mir dabei, meine anfängliche Skepsis schnell zu überwinden und mich voll auf den Klang einlassen zu können. Das Zusammenspiel aus Einführung und Erlebnis des Projektes selbst finde ich deshalb weiterführungswürdig.

Neben dem Orgelprojekt hinterließ der gesamte Ausflug des Musikkurses weitere wichtige Eindrücke. So stellten für mich das gemeinsame Essen und Musizieren im Herrenhaus prägende Ereignisse der Fahrt dar. Es machte sehr viel Spaß, zusammen mit den anderen zu sprechen, Klavier zu spielen, zu singen und das Haus mit Musik zu füllen. Auch wenn es an sich wenig mit dem Projekt zu tun hatte, ist es für mich ein damit untrennbar verbundenes Erlebnis geworden und wird dies vermutlich auch für immer bleiben. Selbst die Verteilung der zu erledigenden Aufgaben erschien mir im Vergleich zu vielen anderen Fahrten durchweg positiv und reibungslos zu verlaufen. Daher trug der Ausflug meines Erachtens zu einer enormen Steigerung des Gruppenzusammengehörigkeitsgefühls bei und half mir dabei, direkt zu Beginn des nun 2-jährigen

Musikkurses meine Mitschülerinnen und Mitschüler besser kennenzulernen.

Zusammenfassend wird mir also der Besuch von Halberstadt als bereichernde und schöne Erfahrung in Erinnerung bleiben, auf die ich nicht verzichten möchte. Diese beinhaltet auch das Orgelprojekt Organ2/ASLSP. Es war eine sehr interessante und außergewöhnliche Erfahrung, welche ich ohne diese Fahrt womöglich nie gemacht hätte. So eröffnete sich mir die Möglichkeit, einen Einblick in einen für mich vollständig neuen Bereich der Musik zu bekommen, welcher mir als sehr positiv und eindrucksvoll in Erinnerung bleiben wird. Interessant wäre für mich somit, wie die Schüler(innen) des CGJ dies wohl in 100 Jahren auffassen und einige von ihnen ähnliche Erfahrungen wie ich machen werden. Leider wir mir diese Antwort jedoch verwehrt bleiben. Ein kleiner Trost dabei ist jedoch die Gewissheit, dass eben diese Schülerinnen und Schüler die Aufzeichnungen des Musikgrundkurses 2020 als Vergleich zu ihren eigenen Erfahrungen nutzen könnten.

Aus den bisher genannten Gründen spreche ich mich klar für eine Weiterführung des Ausflugs seitens der Schule aus. Da diese aber auch von der Finanzierung des Orgelprojekts abhängig ist, halte ich den Erwerb des Klangjahres 2294 durch das CGJ ebenfalls für angebracht, dies aber natürlich vor dem Hintergrund der Finanzierungsabwägung anderer sinnvoller Projekte. In jedem Fall würde ich mich freuen, wenn auch in Zukunft andere Musikkurse der 11. Klasse diese Erfahrung machen dürften.

Jakob Hüfner (11. Jahrgangsstufe)
 

Literaturverzeichnis

Cage, John (1995), Silence, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main (aus dem Amerikanischen von Ernst Jandl)